Haiti wird häufig als Armenhaus der westlichen Welt bezeichnet. Von Stürmen und Erdbeben gepeinigt, von politischen Umbrüchen erschüttert und immer wieder durch internationale Interventionen gelenkt blickt Haiti auf eine bewegte und häufig folgenschwere Vergangenheit zurück.
Haiti hat als erster Staat die Sklaverei abgeschafft und wurde nach einem Sieg über die französischen Kolonialherren zur ersten schwarzen Republik der Welt. Zwischen 1802 und 1804 bereitete die haitianische Revolutionsarmee, unter der Führung zunächst von Toussaint-Louverture dann Jean-Jaques Dessalines, der damals stärksten Macht Europas eine vernichtende Niederlage. Eine daraufhin jahrelang anhaltende wirtschaftliche Blockade des jungen Staates durch Frankreich und später USA sowie die fortwährende Ablösung eines undemokratischen und korrupten politischen Regimes durch ein anderes führten das Land immer tiefer in die Krise. Die Folgen, durch regelmäßig auftretende Naturkatastrophen weiter zugespitzt, sind Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit.
Diese bereits seit langem bestehenden Probleme wurden am 12. Januar 2010 durch ein verheerendes Erdbeben, das gemessen an der Zahl der Opfer und dem Ausmaß der katastrophalen Zerstörung als stärkstes Erdbeben aller Zeiten gilt, weiter verschlimmert. Mehr als 220.000 Menschen starben, über eine Million wurden obdachlos, die Infrastruktur ist total zerstört. Für die Überlebenden des Erdbebens fing der Kampf um ihr Überleben jedoch gerade erst an. Die Versorgung mit Nahrung, Wasser und medizinischer Hilfe war völlig zusammengebrochen - Notunterkünfte konnten bisher nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden. International wurde zu Spenden aufgerufen. Nach der sofortigen Intervention der Haitianer, vor Ort durch Erste-Hilfe-Maßnahmen und Bergung der Verschütteten, meistens mit bloßen Händen, versuchten mehrere technisch besser ausgerüstete internationale Hilfsorganisationen die Not zu lindern, Verschüttete zu finden und Struktur in das verheerende Chaos zu bringen.
Wie ist die Lage Haitis fünf Monate nach dem vernichtenden Unglück?
Der Vortrag soll einen Überblick über die bewegte Geschichte Haitis geben, die derzeitige soziopolitische Situation der Bevölkerung darstellen und angestrebte Zukunftsperspektiven skizzieren.
Guillaume R. Sévère ist Arzt und kommt aus Haiti.