Lateinamerika ist für seine massiven und schlagfertigen sozialen Bewegungen bekannt. Seit den siebziger Jahren erregten etwa die sozialen Bewegungen gegen die zahlreichen Militärdiktaturen internationale Aufmerksamkeit und Solidarität. Mit der „neoliberalen Wende“, die Mitte der 80er Jahre einsetzte und eine drastische Reduzierung der staatlichen Sozialprogramme in den lateinamerikanischen Ländern zur Folge hatte, sind vermehrt soziale Bewegungen entstanden, die auf die Einhaltung von „sozialen Menschenrechten“ pochen: die Schaffung eines angemessenen Lebensstandards, Arbeit und faire Entlohnung sowie der Zugriff auf Bildung, Ernährung und Gesundheitsversorgung. Zwei Beispiele solcher Bewegungen sind die weithin bekannte Landlosenbewegung um den Dachverband MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) in Brasilien und die von der Coordinadora por el agua y por la vida angeführte soziale Bewegung, die im Jahr 2000 in der bolivianischen Stadt Cochabamba den „Wasserkrieg“ ausgefochten hat.
Die Ungleichverteilung von fruchtbarem Ackerland, die landlose Familien massenweise in die Elendsviertel der Metropolen treibt, ist in fast allen Ländern Lateinamerikas ein drängendes Problem. In Brasilien führte die Landkonzentration 1984 zur Gründung des nationalen Dachverbandes MST, der seither die Interessen landloser Familien vertritt und mit ca. 1 Mio. Angehörigen als die größte soziale Bewegung des Subkontinentes gilt. Der MST wirkt nicht nur an der politischen Debatte über eine Agrarreform mit sondern ist seit seiner Gründung immer wieder mit massiven Protesten in Erscheinung getreten und führt eigenmächtig Landbesetzungen durch. Trotz großer Hoffnung lässt eine umfassende Landreform auch unter dem Präsidenten Lula auf sich warten.
Die Privatisierung der Trinkwasserversorgung, die häufig mit steigenden Tarifen einhergeht und damit die lebensnotwendige Wasserversorgung für ärmere Haushalte unerschwinglich werden lässt, ist in vielen Ländern dieser Welt ein Problem. Im April 2000 gelang es einer massiven sozialen Bewegung, die Privatisierung der Wasserversorgung in der bolivianischen Stadt Cochabamba rückgängig zu machen. Die z.T. exorbitanten Tariferhöhungen wurden zurückgenommen und die Versorgung wieder in die öffentliche Hand überführt. Zehn Jahre nach dem Wasserkrieg ist die Wassersituation in Cochabamba allerdings genauso trostlos wie zuvor, trotz linker Regierung und einer Verfassungsänderung, die den Zugang zu Trinkwasser zu einem Verfassungsrecht erhoben hat.
Bettina Schorr, M.A., Uni Köln